WiYou.de - Ausgabe 03/14 - page 45

Ich nix Tarzan!
Zum dritten Mal über den Müllbeutel im Flur gestolpert – es reicht, runter damit. Also schnell Schuhe an, Corpus
De­Abfall geschnappt, zur Tür raus und: Halt! Stopp!! Warte!!! Der – es zieht, es knallt, die Tür ist zu! – Schlüssel.
Der steckt zwar im Schloss, nur leider auf der falschen Seite der Tür. Hmpf. Na toll! Und jetzt? Erstmal Lage son­
dieren. Nochmal gucken, ob die Tür auch wirklich richtig zu ist. Drücken, rütteln, jep, ist richtig zu! Ersatzschlüssel?
Liegt im Auto, was schon die Rettung wäre, würde der Autoschlüssel nicht in der Wohnung liegen. Mama? Die hat
zwar auch noch einen Schlüssel, wohnt aber gute fünf Kilometer entfernt, und weil ja der Autoschlüssel … Handy?
Liegt vermutlich neben dem Autoschlüssel, auf jeden Fall aber in der Wohnung. Beim Nachbarn klingeln und von
dort aus Mama anrufen? Gute Idee, wenn ich ihre Nummer im Kopf hätte. Den Schlüsseldienst? Nach 22 Uhr? Am
Feiertag? Nicht, wenn es irgendwie anders geht.
Ich muss nachdenken, also kann ich auch erstmal den Müll wegbringen. Langsam wird’s dunkel und als die Haustür
ins Schloss fällt, dämmert mir, dass das vielleicht doch keine so gute Idee war. Na gut, dann bin ich eben ganz drau­
ßen, in rosa Plasteschuhen und Jogginghose­im­sehr­used­Look mit Zuhause­geht­das­noch­Shirt – weshalb ich
auch nur ganz kurz überlege, die fünf Kilometer Fußmarsch doch in Angriff zu nehmen. Ich schiele grübelnd umher,
dann in Richtung Balkon. Also da ist die Tür noch auf. (erster Stock, Anm. d. Ausgesperrten) Ich müsste nur irgend­
wie aufs Vordach kommen. Während ich das Treppengeländer auf Stabilität prüfe, raschelt´s nebenan. Die
Erdgeschoss­Omi. Sie zubbelt halbherzig an ihren Balkonblümchen rum. „Nabend.“ „Hmm, nabend.“ Ich dreh mich
wieder um, schiebe den Müll unauffälligst zur Seite und schinde Zeit am Briefkasten. Nachdem ich das dritte
Prospekt schlüsselfrei herausgeangelt habe, raschelt´s wieder. Die Luft ist rein.
Ich stopfe die Werbung zurück in den Kasten und klettere aufs Geländer. Na gucke, geht doch! Der erste halbe
Meter auf dem Weg nach oben ist geschafft. Ich versuche mich an der Balkonbrüstung hochzuziehen und bewege
mich dabei kein Stück weiter. So wird’s nichts. Ob der Briefkasten wohl stabil genug ist? Vorsichtig teste ich mit
dem linken Fuß. Scheint zu halten, auch wenn es etwas knarrt. OK, Schwung und hoch! Und runter. Autsch. Der
Briefkasten hält, meine Hand an der Brüstung nicht. Ich schürfe am Rauputz entlang abwärts bis ich, halb und halb
nicht, wieder auf dem Geländer hänge. Erneutes Rascheln. Omi ist zurück, schüttelt den Kopf, sagt aber nix. Egal,
ich hatte es ja fast geschafft. Zweiter Versuch. Schwung und ziiiiiiiiiiiiiehn! Autsch, wieder der Putz, aber: Das rechte
Bein ist oben! Also zumindest ein bisschen davon: der Fuß! Der Rest von mir baumelt grazil in luftiger Unhöhe
etwa einen Meter über dem Boden. Hmm, und nu? Ich rutsche. Rutsche weiter. Langsam aber stetig. Und lande
schließlich. Diesmal auf den Füßen, neben dem Geländer, im Beet vor Omis Nase. Die schüttelt wieder den Kopf.
„Warum klingelnse denn nicht nebenan?“ Das ähm, weiß ich auch nicht so genau.
Zwei Minuten später stehe ich mit meiner Nachbarin auf ihrem Balkon und steige über dessen Brüstung aufs von
unten unerreichbare Wellblechdach. Es wellt sich ein bisschen mehr. Ich schiebe mich Schritt für Schritt an der
Wand entlang direkt vors nächste Hindernis: Kletterpflanzen. Eigentlich verwandeln sie meine Miniterrasse in eine
von der Außenwelt abgeschirmte, gemütlich grüne Oase, jetzt aber sich selbst in eine garstige grüne Barriere. „Na,
wird’s was?“ „Ja, klar, ich muss nur…irgendwie…“ Ich beiße die Zähne zusammen und hangle mich eher elefanten­
als elfengleich durchs kratzige Geäst über die rettende Reling. Geschafft! Ich reiße noch zwei meiner Blumenkübel
um, bevor ich auf den Wäscheständer plumpse und es von unten rufen höre: „Vergessense Ihren Müll hier nicht!“
Schussi, eure Mamu
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